Gucken Sie abends, wenn Ihr Nachbar vergessen hat, die Rollläden zu schließen, was er gerade tut? Oder tauschen Sie mit einem Bekannten nicht nur sachliche Neuigkeiten über einen anderen aus? Die Neugier auf das Leben unserer Mitmenschen gab es schon immer. Ebenso die Freude, sich in der Öffentlichkeit auf seine eigene Art zu zeigen. Beide Seiten gehören zusammen. Erst das Zeigen und das Gucken führen dazu, dass Autobiographien geschrieben und gelesen werden.
Sind Ihnen beim Lesen gerade Wörter wie spionieren, lästern und angeben durch den Kopf gegangen? Wenn Maß und Mitte fehlen, mögen sie durchaus zutreffen. Aber übertreiben können wir nur etwas, das bereits in uns ist, in unserer Natur. Wir interessieren uns für andere, weil wir soziale Wesen sind. Das ist in unserer Biologie verankert.
Gemeinschaft ist uns einprogrammiert
Etwa in unserem autonomen Nervensystem. Laut der Polyvagal-Theorie (Stephen Porges, 1994) haben wir drei Systeme: den Sympathikus und den zweigeteilten Parasympathikus. Über alle drei regeln wir den Kontakt mit anderen Menschen. Angriff – Kampf und Flucht. Ausweglosigkeit – sich totstellen. Annäherung – Wohlgefühl. Das letzte Verhalten läuft über das Soziale Engagement System im vorderen Vagusnerv. Erst darüber werden wir beziehungsfähig und binden uns gefühlsmäßig in eine Gemeinschaft ein.
Deshalb gucken wir gerne. Deshalb zeigen wir uns gerne. Das ist nichts, wofür wir schämen müssen. Wir wollen einfach nicht alleine sein.
Die Schauplätze des Lebens
Früher war die Bühne dafür deutlich kleiner. Die Promis – die hatten ihren Platz in Zeitungen und Zeitschriften, im Fernsehen und im Radio. Und wir normalen Leute – die Kneipe, den Bäcker und den Arbeitsplatz. Bis das Internet kam. Die ganz große Bühne für jeden. Würden wir uns nicht füreinander interessieren, wäre sie leer.
In den sozialen Medien sehen und zeigen wir Schnappschüsse. Lebens-Häppchen sozusagen. In Blogs weitet sich der Blick schon etwas. Aber erst in geschriebene Autobiographien tauchen wir tief ein.
Mitgefühl verbindet Menschen
In ein Leben eintauchen – genau das ist das Faszinierende an Autobiographien. Ob nun in das eigene oder in das eines anderen. Immer bekommen wir etwas zurück. Wer lernen etwas und können das für unseren weiteren Weg nutzen. Und nicht zuletzt entwickeln wir Mitgefühl – für uns selber und für den Menschen, der sich uns zeigt. Wir fühlen mit uns und mit anderen. Wir verbinden uns. Das ist es, was uns Menschen ausmacht.